1) Wie kann der („moderne“) Kolonialismus kurz definiert werden?
1. Als ein Prozeß, bei dem eine ganze Gesellschaft unter Androhung und Einsatz von Gewalt ihrer Eigenentwicklung beraubt wird und als „periphere“ Gesellschaft den „Metropolen“ dienstbar gemacht wird.
2. Durch den seltenen Unwillen der selbsternannten neuen Herrscher den Unterworfenen kulturell entgegenzukommen (nirgendwo ist es zu einer „hellenistischen“ Kultursynthese gekommen).
3. Durch einen „ideologischen Geist des Kolonialismus“, als Beitrag zu einem göttlichen Heilsplan der christlichen Heidenmission, als weltliches Mandat zur Zivilisierung von „Barbaren“ und „Wilden“, als Sendungsideologie, die den Glauben an die eigene kulturelle und mitunter auch biologische Höherwertigkeit einschloß.
4. Wegen seiner schwachen Legitimitätsbasis wird seine Geschichte von einer Gegengeschichte (z.B. des egalitären Menschnrechtsdenkens) begleitet.-
2) Weitere debattierte Kolonialismus-Ausprägungen sind Kolonien ohne Kolonialismus (wie die Vorläufer der USA, die sich in revolutionär-eruptiver Form vom britischen Empire lösten oder Kanada, die in weitgehend einvernehmlicher Form schrittweise abrückte) oder Kolonialismus ohne Kolonien („interner Kolonialismus“) oder Subkolonialismus (in hierarchisch aufgebauten Kolonialreichen).
3) Abstufungen im Hinblick auf Kolonialreiche: Die frühneuzeitlichen europäischen Übersee-Imperien waren ihrem Wesen nach fast ausschließlich Kolonialreiche. Späterhin gab es einige Kolonialmächte, die unterhalb der Schwelle eines Kolonialreichs blieben (Belgien, USA, Spanien ab dem 19. Jahrhundert und wohl auch noch die Niederlande – ab ca. 1800).
4) Für das 19. und 20. Jahrhundert kann man 3 Grade imperialer Interessensicherung unterscheiden.
1. „Formal empire“ – die schon bekannte koloniale Herrschaft.
2. „Informal empire„: Ein Zustand quasi-kolonialer Kontrolle ohne allzu kraß ins Auge springende koloniale Fassade (Beispiele dazu auf S. 26+).
3. Nichtkolonialer „bestimmender Einfluß“: Es gibt keine (offiziell) kodifizierten Sonderrechte, aber bestimmte Institutionen, z.B. multinationale Konzerne setzen diesen Einfluß um.
5) Imperialismus ist nicht gleich Kolonialismus: Imperialismus impliziert nicht bloß Kolonialpolitik sondern „Weltpolitik“. Sie wird von Staatskanzleien, Außen- und Kriegs-ministerien geplant und nicht von Kolonialbehörden und Männern vor Ort. Der Tausch von Sansibar (D) gegen Helgoland (UK) (1890) ist typische Weltpolitik, widerspricht aber der kolonialistischen Logik. Allein das UK und die USA sind jemals im vollentfalteten Sinne imperialistische Mächte gewesen, die USA sogar ohne Kolonialimperium. Den Frühzeiten des Kolonialismus auch „Imperialismus“ zuzuordnen, überdehnt den Begriff wohl. Frankreich, Deutschland, Rußland und Japan waren zu wechselnden Zeitpunkten Träger von Imperialismus im eingeschränkten Sinne. Die Niederlande waren zwischen den Weltkriegen zweifellos die drittgrößte Kolonialmacht (vor allem wegen Indonesien), aber ohne weltpolitische Ambitionen und Machtmittel waren sie in keinem Sinne eine imperialistische Macht.
(29.7.25) (30.7.25)
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